Stellvertretende Bürgermeisterin Marita Bergmaier (4.v.l.) begrüßte Shoshana Philipp-Chavkin (5.v.l.) und Manfred de Vries (6.v.l.) im schönsten Rathaus in NRW. Mit dabei waren Vertreter*innen aus Rat und Verwaltung (Foto: Stadt RE)
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Recklinghausen. Mit Namen und Lebensläufen an die Opfer der NS-Diktatur in Recklinghausen erinnern und sich gegen das Vergessen des Nazi-Terrors einsetzen: Dafür steht das Online-Gedenkbuch der Stadt Recklinghausen. Seit Mai 2015 ist es auf der städtischen Webseite aufrufbar und dokumentiert die Schicksale von mittlerweile über 900 Bürger*innen, die Opfer der Nazi-Diktatur wurden.

Als bisher umfangreichste Biografie neu aufgenommen ist die Geschichte der Recklinghäuser Großfamilie Philipp. Diese wurde am Donnerstag, 1. Juni, im Rathaus in Anwesenheit von Nachkommen der Familie offiziell vorgestellt. Shoshana Philipp-Chavkin, eigens aus Israel angereist, nahm die Biografie aus den Händen der stellvertretenden Bürgermeisterin Marita Bergmaier entgegen. Begleitet wurde die Tochter des Auschwitz-Überlebenden Issy Philipp (1906-1994) von Manfred de Vries aus der alteingesessenen Recklinghäuser Familie Markus, deren Schicksal ebenfalls im Gedenkbuch dargestellt ist.

Das im Online-Gedenkbuch dokumentierte Schicksal der Nachkommen der Recklinghäuser Eheleute Isaac Philipp und Henriette Philipp gibt ihnen ein „Gesicht“. Die meisten der elf Kinder und Schwiegerkinder wurden ermordet, wie auch ihre Enkel*innen. Ihre Leidesorte lesen sich wie das Wörterbuch des Schreckens: Auschwitz, Buchenwald, Groß Rosen-Minsk, Riga, Sobibor, Theresienstadt, Minsk.

Vize-Bürgermeisterin Bergmaier betonte: „Diese nun online zugängliche Zusammenstellung führt uns noch mal in aller Deutlichkeit vor Augen, dass der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden nichts Abstraktes war: Menschen aus der Mitte ihres Lebens und aus der Mitte unserer Recklinghäuser Stadtgesellschaft wurden innerhalb weniger Jahre entrechtet und gedemütigt, deportiert, zur Zwangsarbeit verschleppt, ermordet. Sie alle hatten Familien und Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen. Keiner dieser Menschen soll vergessen werden. Deswegen ist das Online-Gedenkbuch auch keine reine Namensliste. Vielmehr wird deutlich, dass alle diese Menschen individuelle Biografien hatten und dass ihre Ermordung bis heute schmerzt.”

Erarbeitet wurde die umfangreiche Biografie von Dr. Franz-Josef Wittstamm und dem ehemaligen Ersten Beigeordneten Georg Möllers, der Vorsitzender des Vereins für Orts- und Heimatkunde ist. Sie und weitere Ehrenamtliche widmen sich intensiv und kompetent der Aufgabe, Namen, Dokumente, Fotos und Geschichten für das Gedenkbuch zusammenzutragen. In Kooperation mit dem Institut für Stadtgeschichte und der Volkshochschule (VHS) der Stadt Recklinghausen finden die Recherchen dann Eingang in das Online-Gedenkbuch.

Anlässlich der Vorstellung der Biografie der Familie Philipp erklärte VHS-Leiter Dr. Ansgar Kortenjann: „Das Gedenkbuch ist keine statische Datenbank, sondern ein Prozess. Wir wollen die Seite permanent weiterpflegen und ergänzen, sodass im Laufe der kommenden Jahre möglichst alle Menschen mit einer kurzen Biografie gewürdigt werden.“ Das Gedenkbuch ist inzwischen auch zu einer wichtigen Grundlage der Erinnerungsarbeit an den Recklinghäuser Schulen geworden. Zudem findet es auch immer wieder international Beachtung. Dies belegen weltweite Nachfragen und Kontakte; im Fall der Familie Philipp mit Angehörigen in Frankreich und in Israel. So erfuhren die Teilnehmenden der Vorstellung im Rathaus etwa von Hans Philipp (1911-1945). Ihm gelang die Flucht nach Frankreich, wo er sich sogar den französischen Hilfstruppen bei der deutschen Okkupation anschloss. Schließlich wurde er vom Vichy-Regime in Kollaboration mit dem Dritten Reich ausgeliefert, deportiert und ermordet.

Hier geht es zum Opferbuch: www.recklinghausen.de/gedenkbuch

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