Zum „Tag der Kinderhospizarbeit“ am 10. Februar möchten Anja Claus (li.; Leiterin stups KINDERZENTRUM) und Feyza Degirmenci (re.) auf die Situation der Familien mit schwer eingeschränkten oder erkranken Kinder aufmerksam machen (Foto: DRK-Schwesternschaft Krefeld / Nadia Joppen)
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Krefeld. „Kinderhospizarbeit muss in der Öffentlichkeit selbstverständlich werden“ – das ist das Leitmotiv des bundesweiten „Tags der Kinderhospizarbeit“ am 10. Februar. Denn der Alltag lebensverkürzend erkrankter Kinder, Jugendlicher, junger Erwachsener und ihrer Eltern ist geprägt von Sorgen und Ängsten. Zusätzlich haben sie mit sozialer Isolation zu kämpfen, weil das Thema „Kinder und Sterben“ in der Gesellschaft nach wie vor mit Hemmungen und Vorurteilen behaftet ist.

Das erlebt auch die Krefelderin Feyza Degirmenci. Sie hat 2008 als sehr junge Frau nach einer Risiko-Schwangerschaft in der 24. Woche mehrfach schwerstbehinderte Frühchen per Kaiserschnitt zur Welt gebracht: Arda wog 870 Gramm, sein Bruder Emren 530 Gramm. Es folgten für beide Babys Wochen im Inkubator, Infusionen, Beatmung, Operationen und Therapien, um ihnen ein Leben zu ermöglichen. Für die Mutter begann mit der Geburt ein Leben mit völlig unerwarteten Herausforderungen: „Ich war jung und hatte nichts mit Medizin zu tun. Man liegt da und versteht die Ärzte nicht. Ich wusste nur: Ich muss stark sein und mir Wissen aneignen, um meine Kinder zu schützen.“ Ein besonderes Erlebnis für sie: Als sie beide Söhne das erste Mal gemeinsam auf der Brust liegen hatte – dem sog. „kangooroing“ – fingen sie erst an zu streiten, um ihren Platz zu finden, „danach haben sie Händchen gehalten – das war so schön“, erzählt Feyza Degirmenci. Als sie für neun Tage mit Arda zu einer Operation nach Bonn musste, verschlechterte sich Emres Zustand auf einmal stark und sie fand ein völlig verändertes Kind vor. Nach drei Monaten musste sie ihren kleinen Sohn gehen lassen – eine umso schmerzhaftere Erfahrung, „weil Emrens Tod der erste Verlust in meinem Leben war. Sogar meine Großeltern leben beide noch“. Sie ist dankbar für die Zeit mit den beiden Söhnen: „Emren war so cool, Arda ist der Gefühlsmensch. Sie haben mich beide unglaublich viel gelehrt“, meint sie. Deswegen bezeichnet sie ihren Sohn als „ihren Hero, ihr Oxford und Harvard“.

Mit Arda hat sie sich in Krefeld ein Leben aufgebaut – bestimmt von einer 24/7-Pflege für ihren heute 15-jährigen Sohn, die sie als Mutter und unterstützt von ihren Eltern leistet. Der Kontakt zum Kinder- und Jugendhospiz im stups KINDERZENTRUM ist vor ca. sieben Jahren über den Pflegedienst für Arda entstanden, weil Ardas Rollstuhl im Rahmen einer Hüft-OP nicht in den Fahrstuhl passte. Die Entscheidung, ihren Sohn, der auf sie angewiesen ist, in „fremde Hände“ zu geben, sei schwierig gewesen, auch wenn ihr eigener Vater sie immer wieder ermahne, an sich zu denken, sagt die Mutter: „Ich hatte aus der Klinik-Erfahrung mit Emren Ängste und einen Anlauf gebraucht, weil bei Arda eine Operation missglückt war, was zu einer Epilepsie geführt hatte.“ Die Art, wie das Team sie aufgenommen habe, habe ihr sehr geholfen. Nachdem sie vorher schon mehrfach erlebt hatte, dass ihr Nachname ein Ablehnungsgrund zum Beispiel bei der Wohnungssuche gewesen war, sei es „wunderschön, dass es keine Rolle spielt, welchen Glauben, welchen Namen oder welche Nationalität man hat. Jeder wird hier respektiert und akzeptiert. Es geht nur um die Kinder und die Familien“, sagt sie. Jeder versuche, achtsam mit den anderen und deren Ritualen und Gewohnheiten umzugehen.

Sie versuche, zu verdeutlichen, dass auch die muslimischen, jüdischen und buddhistischen Communities oder die Gemeinschaften anderer Kulturen und Glauben sich willkommen fühlen können und keine Scheu vor Ausgrenzung oder Berührungsängste haben müssen.

Im Laufe der Jahre hat sich die Art, wie sie die Zeit der Hospiz-Entlastungsaufenthalte für sich nutzt, geändert: „Zuerst habe ich Urlaub gemacht, um Kraft zu tanken und andere Erfahrungen zu sammeln – Kultur, Geschichte oder Strand. Aber ich habe erkannt, dass ich auch neue Perspektiven für mich gewinnen muss“, sagt sie. Deswegen habe sie sich entschieden, die Zeit zu nutzen, um in Ruhe über ihren eigenen weiteren Lebensweg nachzudenken: Was macht sie, wenn ihr Kind stirbt oder Arda so groß wird, dass sie ihn nicht mehr selbst pflegen kann? „Ich habe auf vieles verzichtet und immer nur gekämpft. Das habe ich gerne gemacht, man gibt ja nicht auf“. Sie hat gelernt, zu akzeptieren, dass ihr Kind keine „normale“ Lebenserwartung hat und sie sich irgendwann verabschieden muss. Arda habe ihr durch seine Lebensfreude viel geschenkt und sie versuche den anderen Eltern im stups ihre positive Einstellung zu vermitteln. „Bei einem Trauer-Café habe ich von einer Mutter gelernt, wie schön hier mit der Hilfe im stups ein Abschied gestaltet werden kann. Das hätte ich mir für Emren gewünscht.“ Es sei eine schöne Vorstellung, einen geliebten Menschen so farbenfroh zu verabschieden. „Wir sind ja immer noch privilegierte Menschen, wenn wir bedenken, wie Kinder im Krieg sterben und beerdigt werden müssen.“

Aktuell führt Feyza Degirmenci einen neuen Kampf für ihren Sohn und sich: Weil ihre Wohnung durch einen starken Schimmelbefall für sie und den Teenager Arda unbewohnbar ist, sucht sie eine neue Wohnung – am besten im Erdgeschoss, um leichter mit dem Rollstuhl auf die Straße zu gelangen.

Info:

Ihre Erfahrungen im Leben mit einem schwerst mehrfach eingeschränkten Kind verarbeitet Feyza Degirmenci im Rahmen eines Buchprojektes: Sie schildert die Erfahrungen der vergangenen Jahre aus zwei Perspektiven – der ihres Sohnes und ihrer eigenen. Einer ihrer Wünsche im Rahmen des Tags der Kinderhospizarbeit sind mehr inklusive Spielgeräte auf den Krefelder Spielplätzen – damit eingeschränkte Kinder ganz normale Kontakte aufbauen können und in unserer Gesellschaft präsent sind.

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