Wolfram Essling-Wintzer, LWL-Fachreferat Mittelalter- und Neuzeitarchäologie, erläutert die Funde im Inneren des Kirchenschiffs (Foto: © Stadt Dortmund / Roland Gorecki)

Dortmund. Der romanische Turm der Lindenhorster Kirche ist der älteste erhaltene Kirchturm im Stadtgebiet und soll zu einem Ort der Begegnung werden – mit einer neuen Kita. Archäologen haben jetzt Überreste eines alten Kirchenschiffs freilegen können – im im Inneren des heutigen Kirchenschiffs. Auf dem Außengelände stießen sie auf Brunnen und Öfen im Boden.

Seit November 2024 hat das Team der Archäologen innerhalb der Kirche und draußen rundherum viele Grabungen unternommen und schon jetzt beeindruckende Funde gemacht. Fertig sind sie noch nicht, bis Juli gehen sie behutsam der Geschichte auf den Grund, dokumentieren und sichern alles.

Der Turm aus der zweiten Hälfte des 12. oder frühen 13. Jahrhunderts erinnert an Heinrich von Herreke und seine Frau Adelheid, die 1176 den Herrenhof Lindenhorst innehatten. Er ist Zeitzeuge der wechselvollen Geschichte des Mittelalters: Ab 1316 übernahm der Lindenhoster Zweig der Dortmunder Grafenfamilie die Grafschaftsrechte für Dortmund – dabei blieb es bis 1452. Die zu ihrem Adelssitz gehörige Kapelle wurde in der Großen Dortmunder Fehde 1388/89 zerstört. Nur der seinerzeit zu Verteidigungszwecken als Wehrturm ausgebaute Turm hat bis heute überdauert.

Geschichte nimmt Form und Gestalt an

Nach dem Entfernen des schadstoffbelasteten Bodenparketts und der Bodenplatte im Kirchenschiff wurden nicht nur Bauphasen aus dem 20. Jahrhundert sichtbar, sondern auch Strukturen des bislang unbekannten mittelalterlichen Vorgängerbaus. Nur wenige Zentimeter unter der heutigen Oberfläche fanden sich gut erhaltene Überreste des bereits 1388/89 zerstörten früheren Kirchenschiffes – eine archäologische Sensation, denn bisher war die Architektur des alten Gebäudes nicht aus Aufzeichnungen bekannt.

Zudem fanden die Archäologen auch mehrere Grabstätten innerhalb des Kirchenschiffs. Möglicherweise gehört eine dieser Grabstätten der 1534 verstorbenen Katharina, der letzten Gräfin Dortmunds. Historische Quellen legen das nahe und die Lage der Grabstätten innerhalb der Kirche lassen auf eine hohe soziale Stellung der bestatteten Personen schließen. Einfache Bürger*innen wurden üblicherweise außerhalb der Kirche beigesetzt.

Spannende Funde im Außengelände

Auch im Außenbereich des Lindenhorster Kirchturms an der Alten Ellinghauser Str. 5-7 gab es bedeutende Entdeckungen: Neben baulichen Strukturen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden erwartungsgemäß Bestattungen freigelegt. In einigen Fällen sind noch Überreste ehemaliger Holzsärge als dunkle Bodenverfärbungen erkennbar.

Besonders aufschlussreich sind mehrere Brunnen, darunter ein rundlicher Steinbrunnen mit Keramikfunden, die auf eine Nutzung im Mittelalter hindeuten. Diese Funde liefern erste Belege für eine mittelalterliche Siedlungstätigkeit an diesem Standort. Von besonderem Interesse sind zudem zwei mutmaßliche Öfen zur Herstellung von Buntmetall. Diese könnten in direktem Zusammenhang mit dem Umbau des Kirchturms zum Wehrturm gegen Ende des 14. Jahrhunderts stehen. Die Verarbeitung von Buntmetall in dieser Zeit könnte ein weiteres Indiz für eine funktionale Umnutzung des Kirchturms während der Großen Dortmunder Fehde im Jahr 1389 sein.

Eng abgestimmte Zusammenarbeit

Bei den Ausgrabungen arbeitet die Untere Denkmalbehörde der Stadt mit dem Landschaftsverband Westfalen Lippe (LWL-Archäologie für Westfalen, Referat Mittelalter und Neuzeitarchäologie) zusammen. Die Untersuchungen im Außenbereich übernimmt die Firma LQ-Archäologie. Wie immer, wenn Bauprojekte auf geschichtsträchtigem Boden erfolgen, werden die Bauarbeiten von Archäologen begleitet. Die Fachleute sind vor Ort, um Funde fachgerecht zu dokumentieren und zu sichern. Üblicherweise arbeiten sie eng mit den anderen Gewerken zusammen, um Verzögerungen im Bauablauf zu minimieren. Ist jedoch mit besonders bedeutenden Funden zu rechnen, wie in diesem Fall, werden archäologische Untersuchungen vorab schon als eigene Phase in den Bauablauf mit eingeplant.

Blindgänger oder Bodendenkmal?

Bevor die Archäologen ihre Arbeit aufnehmen konnten, musste das Gelände durch den Kampfmittelräumdienst untersucht werden, denn es lag während des Zweiten Weltkriegs mitten in einem Bombenabwurfgebiet. Mithilfe von Sonden wurden Anomalien im Boden detektiert – eine Routineaufgabe im Ruhrgebiet. Doch die Anomalien können sowohl auf Blindgänger hindeuten als auch auf archäologische Strukturen. Kampfmittelräumdienst und Archäolog*innen analysierten daher die Verdachtsstellen gemeinsam. So konnten wichtige Funde vor einer ungewollten Zerstörung bewahrt werden.

Künftig spielen Kinder in der ehemaligen Kirche

In den kommenden Monaten entsteht auf dem Gelände eine Kita. Dabei wird auch der restaurierungsbedürftige Kirchturm denkmalgerecht saniert. Das heutige Kirchenschiff ist viel jünger als der Turm. Es wurde erst in den Jahren 1910 bis 1912 zusammen mit dem Gemeindehaus errichtet. Lediglich ein späterer Anbau an das Gemeindehaus musste ab Juli 2024 für das neue Projekt weichen. Alle anderen Gebäude bleiben erhalten und werden mit einem neuen Anbau kombiniert.

Fahrplan für den Bau der Kita

Noch im März starten die ersten Bauarbeiten zur Sanierung des Turms. Das Kirchenschiff soll zur multifunktionalen Turnhalle für die neue Kita mit vier Gruppen werden. Im Gemeindehaus und dem neuen Anbau sind alle anderen Räume der Kita untergebracht. Der Neubau wird zwei Geschosse umfassen, teilweise unterkellert sein und die denkmalgeschützen Bestandsbauten miteinander verbinden.

Voraussichtlich bis Mitte 2027 werden die Arbeiten brauchen. Ob und wie zumindest ein Teil der archäologischen Funde integriert werden kann, ist noch offen. Fest steht aber, dass die Kinder aus Lindenhorst und Umgebung nach dem Abschluss aller Arbeiten ihr ungewöhnliches, besonderes Haus in Beschlag nehmen können und seine Historie hautnah erleben können.

Seit dem Jahr 2009 setzte sich ein Förderverein für den Erhalt des Kirchturms ein. Die Stadt Dortmund hatte Grundstück und Gebäude 2021 vom Evangelischen Kirchenkreis erworben. Der Turm der Lindenhorster Kirche stand schon etwa ein Jahrhundert, bevor man in Köln die Domtürme zu bauen begann. Bald schon wird er baulich wieder so fit sein, dass er noch auf eine lange Zukunft bauen kann.

InfoKlick: dortmund.de/denkmal

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